Von Red. Dokumentation - Am 6. Juli 1943 marschierten Einheiten des Gebirgsjägerregiments 98 (Gjr. 98) der Wehrmacht durch das Grenzgebiet zwischen Albanien und Griechenland. Auf diesem sogenannten "Marsch nach Ioannina" hinterließen sie in dieser Gegend eine regelrechte Blutspur an der Zivilbevölkerung. Eines der zahlreichen Dörfer, das den Deutschen in dieser Zeit zum Opfer gefallen ist, war Borove. 107 Menschen ermordeten die Gebirgsjäger der Wehrmacht dort, die Häuser des Dorfes wurden allesamt angezündet und zerstört. Beteiligt an diesem Massaker war mitunter die 13. Kompanie/Gjr. 98 unter der Führung des Hauptmanns Martin Hörmann. Es sollte nicht das erste und letzte Massaker sein, denn ähnlich wie die 11. und 12. Kompanie tat sich auch die 13. durch unzählige Brutalitäten hervor. Die drei Kompanie waren Teil des III. Bataillons, das 1938 aufgestellt wurde. Sein Stab wurde in Mittenwald stationiert (1), wo noch bis heute mitunter den Gebirgsjägern der Wehrmacht alljährlich während der sogenannten Brendtenfeier gedacht wird (ausführlicher Artikel zur Brendtenfeier 2019 hier).
Im Zuge einer Forschungsreise nach Albanien im August 2019 habe ich mich mit Pandora Ndoni getroffen, die dieses Massaker als Achtjährige überlebt hat. Ich habe ein Interview mit ihr geführt, in welchem sie von den grausamen Ereignissen am 6. Juli 1943 erzählt. Dieses soll im Folgenden in Teilen wiedergegeben werden. Das gesamte Interview wird in einem Buch zum Thema rechte Traditionspflege in Oberbayern erscheinen, das Ende 2019/Anfang 2020 veröffentlicht werden soll. Weitere Informationen zum Buch wird es bald auf diesem Blog geben.
Beim Interview
Max van Beveren: Pandora, du bist in Borove aufgewachsen und zur Schule gegangen, richtig?
Pandora Ndoni: Ich bin in Borova geboren und dort auch eingeschult worden, ja. Ich war sieben, als ich eingeschult worden bin. Es war eine große Schule, drei Lehrkräfte, sowie 100 und mehr Schüler. Es war eine gemischte Schule, für Jungen und Mädchen. Nach der 4. Klasse dann ist man in ein anderes Schulgebäude umgezogen. Es war ein schönes Dorf und sehr gastfreundlich.
Max van Beveren: Wie groß war das Dorf?
Pandora Ndoni: Es hatte 146 Häuser und kein einziges ist nach dem Massaker zurückgeblieben, alles wurde dem Erdboden gleichgemacht. Es war ein Dienstag. Ein Tag, an dem alle mit dem Schlimmsten gerechnet haben und es wurde Realität. Es war zwischen 14:30 und 15:00 Uhr. Etwa 112 Deutsche Fahrzeuge waren durch das Dorf gefahren. Eine weiße Aufschrift hat man an der Brücke angebracht, aber ich konnte nicht lesen, was sie bedeutete, denn es war auf Deutsch. Und eine Stunde später fing das Massaker an. Unser Haus war das dritte an der Reihe.
Max van Beveren: An was genau kannst du dich erinnern? Wie began das Verbrechen der Deutschen in deiner Erinnerung?
Pandora Ndoni: Wir waren sechs Mitglieder von unserer Familie, sechs von der Nachbarin, die Mutter der Nachbarin und eine meiner Freundinnen, insgesamt waren wir 14 Personen. Wir hörten lautes Klopfen an unserer Tür, denn sie war zu. Meine Mutter ist schnell zu meinem Bruder gerannt, er war acht Monate alt, und hat ihn zu sich genommen, hat ihn an meinen Vater gegeben und er hat ihn dann in einem Schutzkeller versteckt. Man hatte ja den griechisch-italienischen Krieg (2) und die Bombardierung erlebt und deswegen hatte man diesen Schutzkeller angeschafft. Drei Deutsche kamen herein, ich kann mich sehr gut an sie erinnern, als ob sie heute vor mir stehen würden. „Halt“, rufen sie und wir hoben die Hände. Sie haben meinen Vater, den Ehemann der Nachbarin und ihren Sohn, der alt genug war, abgeführt. Mein Bruder und der jüngere Sohn der Nachbarin sind ihren Vätern nachgelaufen und meine Mutter ihnen nach, um sie zurückzubringen und ich als Kind bin dann meiner Mutter gefolgt.
Wir gingen rund 60 Meter, etwa drei Häuser weiter und sie, meine Mutter, rief dem Sohn zu:„Mitre, komm zurück“. Und sie rief auch ihrem Mann, meinem Vater, zu:„Sag Mitre, er soll zurück kommen“. Er tut es. Und so sind die beiden Jungen zurückgekommen, mit ihnen auch ich. Aber kaum gehen wir fünf Schritte, sehe ich ein paar tot auf dem Boden liegen, übereinander.
Max van Beveren: Was ist dann geschehen? Wie hast du reagiert?
Pandora Ndoni: Dann kam ich in unseren Garten, wo keiner war. Die Tür des Kellers war offen und ich ging hinein. Die Nachbarin sagte zu meiner Mutter, „nimm den Sohn an die Brust, damit er nicht weint und die Deutschen uns nicht finden". Kaum war ich in den Keller gegangen, kamen auch ein Deutscher.
Plötzlich sagte die Nachbarin:„Ich gehe raus und frage nach Pilo" (ihr älterer Sohn, der mitgenommen wurde). Und so ging sie. Kaum drei Schritte aus dem Keller. Das Geräusch der Maschinengewehre. Tot war sie. Wir rührten uns nicht. Eine Stunde später hatten sie das Haus in Brand gesteckt.
Max van Beveren: Die Gebirgsjäger haben bekanntlich nicht nur euer Haus in Brand gesteckt und zerstört, sondern haben das gesamte Dorf vernichtet. An was kannst du dich erinnern, als ihr den Keller verlassen habt? Wie hast du dein Dorf nach der Zerstörung in Erinnerung?
Pandora Ndoni: Als wir unseren Keller (den Schutzkeller) um Mitternacht verließen, konnte man alles sehen, als ob es mitten am Tag wäre, so hell war es durch das ganze Feuer, das durch das ganze Dorf brannte. Da standen wir um Mitternacht und man hörte das ganze Geschrei und das ganze Geheule. Wer weiß wie viele bei lebendigem Leib verbrannt wurden. Man sah Frauen, die erzählten, dass ihr Mann, ihr Kind, ihr Schwiegervater ermordet wurden. Tote Frauen lagen in den Gassen. Wir fanden auch eine verwundete Nachbarin, mit vielen Einschusswunden, aber noch am Leben und sie sagte: „Bitte benachrichtigt meinen Vater, er soll mich abholen“. Sie war aus dem nächsten Dorf und man konnte sie retten.
Max van Beveren: Und was genau passierte mit deinem Vater?
Aleks Lika, Pandora Ndonis Vater (3).
Pandora Ndoni: Meinen Vater und die anderen hat man an der Brücke an die Wand gestellt und hingerichtet. Dort wo sie fielen, hat man sie nach drei Tagen auch begraben. Man hat sie begraben, weil man befürchtete, die Leichen würden verwesen, da es schon Juli war und somit sehr heiß. Und so kam die Anordnung, die Hingerichteten, da, wo sie lagen, zu begraben. Und da wurde auch eine Grube ausgegraben und alle Leichen, fünf bis zehn, in eine Grube gelegt.
So einen Schrecken kann man nie vergessen. Es gab Familien, die über 16 Tote zu beklagen hatten. Auch die Schwester von meiner Mutter hatte man am Hof ??samt ihrer Familie erschossen und ihr Haus angezündet, sie verbrannten vollständig. Nichts blieb von den Leichen zurück. Einige Knochenüberreste, nichts anderes. So einen Schrecken sollte keiner wieder erfahren.
Quellen und Anmerkungen
(1) Vgl.: Meyer, H. F.: Blutiges Edelweiß. Die 1. Gebirgs-Division im Zweiten Weltkrieg, Berlin 2008, S. 161.
(2) Damit gemeint ist der völkerrechtswidrige Angriffskrieg des faschistischen Italiens gegen Griechenland 1940. Da Borove, wie schon erwähnt, an der Grenze zu Griechenland liegt, wurden auch im albanischen Süden Schutzmaßnahmen ergriffen.
(3)Vgl.: Ll. Pashko, J. Konini: Borova flet. Tirana: 8. November 1975, Seitenzahl unbekannt.