Am 1.September wird der deutsche Diplomat Joachim Rücker Chef der UN-Mission im Kosovo (Unmik). Er ist nach Michael Steiner der zweite deutsche und sechster Unmik-Chef in sieben Jahren. Die Inthronisierung von Joachim Rücker wird in der internationalen Diplomatie als wichtige Entscheidung in der „finalen Phase der „ Statusgespräche“ gewertet. Eine Woche vor seinem Amtsantritt gab Joachim Rücker am 24. August der „Deutschen Welle“ ein Interview. Das Gespräch verdient es mit kritischen Anmerkungen versehen zu werden.
Anmerkungen zu den Positionen von Joachim Rücker
Rücker sagte-
„Zunächst, ganz generell gesprochen, glaube ich, dass Kosovo wie andere Transformationsökonomien auch die Chance hat, auf einen nachhaltigen Wachstumspfad zu kommen, wenn die Bedingungen dazu erfüllt sind und es seine komparativen Vorteile nutzt. Die komparativen Vorteile liegen durchaus nach wie vor auch im Bereich von Bergbau und Energie. Es gibt viele Bodenschätze - wertvolle Erze. Es gibt aber auch viel Braunkohle, die relativ leicht zu verstromen ist. Kosovo hat hier einen Vorteil als "Least-Cost-Producer", wie man sagt. Wenn man diese Vorteile nutzt, liegen sie auch im Bereich der Primärindustrie, aber nicht nur. Es gibt natürlich auch eine landwirtschaftliche Tradition. Es gibt meiner Ansicht nach auch Chancen im Dienstleistungssektor, weil es eine junge, gut ausgebildete und mehrsprachige, mit Auslandserfahrung versehene Bevölkerung gibt. Da gibt es durchaus Chancen im Bereich des Dienstleistungssektors."
Anmerkung 1
- Es ist völlig richtig wenn Joachim Rücker, von den vielen Bodenschätzen in Kosova spricht. Sein Ziel ist allerdings nicht, die Bodenschätze in die Hand der kosovarischen Gesellschaft zu legen, nein Herr Rücker privatisiert und verkauft billig an profitorientierte Unternehmen. Diese sind bekanntlich an einer geringen Steuerlast, niedrigen Löhnen und hoher Produktivität interessiert. Die sozialen Bedürfnisse der Menschen in Kosova tangieren Herrn Rücker nicht. Daneben ist sein Wirtschaftsprogramm eine klare Absage an einen Handlungsfähigen unabhängigen Staat Kosova. Wie soll die Zukunft des Landes aussehen, wenn er über keinerlei Ressourcen in nationaler Hand verfügt, um mit dem Weltmarkt in Verbindung zu treten ? Rücker spricht von der Braunkohle die relativ leicht „zu verstromen“ ist. Er bietet die wichtigste Braunkohlebasis Südosteuropas, ausländischen Investoren an, damit sie die Region mit Strom versorgen können. Inwieweit von dieser Perspektive die einfachen Menschen in Kosova profitieren können läßt Rücker offen.
Rücker sagte
-„Ich würde nicht sagen, dass ich Optimist bin, aber ich bin zuversichtlich, dass es möglich ist, auf einen nachhaltigen Wachstumspfad zu kommen. Sie sprechen die Energie an, als ein Beispiel, wo Kosovo durchaus komparative Vorteile hat. Da gibt es eindeutige Studien der Weltbank und der European Agency for Reconstruction, die nachweisen, dass es auf dem Markt in Südosteuropa doch auf mittlere Sicht Defizite bei der Stromversorgung geben wird und Kosovo diese Defizite sehr günstig schließen kann. Das ist also nicht aus der Luft gegriffen, sondern eindeutig belegt, und deswegen werden wir auch in diesem Bereich Investitionen sehen. Da bin ich sehr zuversichtlich. In anderen Bereichen der Wirtschaft sagen Sie zu Recht, dass die Arbeitslosigkeit sehr hoch ist. Wenn man den Subsistenzsektor in der Landwirtschaft abzieht, liegt sie etwa bei 30 Prozent. Das ist viel zu hoch. Wir sind immer noch in einem Teufelskreis von zu geringem Wachstum, hoher Arbeitslosigkeit, starkem außenwirtschaftlichen Ungleichgewicht und fiskalischen Zwängen. Um aus diesem Teufelskreis auszubrechen ist es nötig, Infrastrukturinvestitionen zu haben, aber auch vor allem Privatinvestitionen. Das ist anderswo genauso und kein Grund in Verzweiflung auszubrechen, sondern man muss arbeiten und die Ärmel hochkrempeln. Wie Sie sehen, arbeiten wir daran intensiv. Wir haben die Geschwindigkeit des Privatisierungsprogramms doch stark erhöht und in relativ kurzer Zeit über 200 Firmen an den Markt gebracht. Da gibt es auch eine ganze Reihe von Erfolgsbeispielen.
Anmerkung 2
Der „nachhaltige Wachstumspfad“ den Herr Rücker prognostiziert ist eine Illusion. In Kosova leben nach einer Studie der Weltbank 11% der Bevölkerung in absoluter Armut und 50% in großer Armut. Die Arbeitslosenzahl wird von Herrn Rücker nach unten gerechnet. Die Stromversorgung in Kosova ist unter dem UNMIK Regime eine Katastrophe. Die Bürger haben nur wenige Stunden am Tag Strom. Vor einigen Jahren wurden zwei deutsche Manager der KEK ( Stromerzeuger un Kosova) angeklagt, weil sie Strom an andere Länder verkauften und den Erlös in ihre eigene Tasche beförderten. Wenn Herr Rücker den Braunkohlereichtum Kosovas, zwecks Stromerzeugung billig an Investoren anbietet, dann verbirgt sich dahinter die Absicht profitgierigen Konzernen strategische Chancen im Export zu garantieren. An eine normale und kostengünstige Stromversorgung für die Bürger Kosovas ist dabei nicht gedacht, auch nicht daran künftige Exporterlöse, für die soziale Wohlfahrt, den Bürgern in Kosova anzubieten. Wenn Herr Rücker begeistert davon berichtet, dass „200 Firmen“ an den Markt gebracht wurden unterschlägt er dabei die Sichtweise der kosovarischen Arbeiter. Jede Privatisierung war mit Entlassungen verbunden, Arbeiter wurden um Abfindungen gebracht und Herr Rücker ignorierte in der Vergangenheit jeden Widerspruch der Arbeiter gegen die Privatisierungsoffensive. Grundsätzlich bleibt festzuhalten: Herr Rücker enteignet in Übereinstimmung mit der neoliberalen Wirtschaftsdoktrin die Gesellschaft in Kosova. Kosova soll ungeschützt der freien Konkurrenz auf dem Weltmarkt ausgesetzt werden. Gegenwärtig ist die komplette kapitalistische Welt mit der Geisel der Massenarbeitslosigkeit und der Überausbeutung der Peripherie, durch die kapitalistischen Metropolen geschlagen. Letzteres Schicksal droht Kosova. Die großen Konzerne hätten Kosova gern als Anhängsel und billigen Rohstofflieferanten. Vollbeschäftigung, soziale Sicherheit und Entwicklung gibt der kapitalistische Weltmarkt weder in den Metropolen und schon gar nicht in peripheren Gebieten her. Herr Rücker ignoriert diese Fakten und will die kosovarische Gesellschaft nicht auf „dumme Gedanken“ kommen lassen. In Lateinamerika gibt es momentan viele Kämpfe gegen den kapitalistischen Neoliberalismus. Der Bolivianer Evo Morales verstaatlichte am 1. Mai 2006 den Gasreichtum des Landes, weil die Massen nicht weiter neben den Reichtümern des Landes verarmen wollen. Solche Überlegungen müssen auch in Kosova angestellt werden.
Rücker sagte
„Es gibt ja einen Dialog zwischen der Regierung in Belgrad und den Selbstverwaltungsinstitutionen in Prishtina unter Begleitung von der UNMIK und einem neutralen Vorsitzenden, der auch schon lange vor den Statusverhandlungen angefangen hat. Dabei geht es um technische Fragen wie vermisste Personen und Wirtschaftsfragen. Allerdings muss man sehr genau unterscheiden, in diesen Gesprächen wird natürlich nicht das Mandat der UNMIK verhandelt. Wir können dabei nicht verhandeln, dass wir hier privatisieren. Das ist ganz klar eine Folge der Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrats. Aber wir reden natürlich mit Belgrad, und es ist natürlich auch durchaus ein Thema im Rahmen der Statusgespräche, dass die Mechanismen, die die Eigentumsrechte im Rahmen der Europäischen Konvention der Menschenrechte, funktionieren. Das erklären wir auch gerne.“
Anmerkung 3
Rücker unterschlägt, dass er zu keinem Zeitpunkt den Dialog ,mit den Menschen in Kosova über die Privatisierung suchte. Den Arbeitern zb. Im Kombinat Trepca wurde jahrelang verboten die Produktion selbsttätig wieder in Gang zu setzen. Erst seit etwas mehr als einem Jahr „dürfen“ Arbeiter in kleiner Zahl in Trepca auf Probe arbeiten um kapitalistische Interessenten zu überzeugen. Den Widerstand der Arbeiter in Drenas gegen die Verschleuderung des Industriegiganten Ferronikel unterschlägt Herr Rücker vollständig. Dafür spricht er von seinen „Verhandlungen“ mit Belgrad über das Privatisierungsprogramm. Rücker spricht nicht davon, dass die Privatisierung auf Basis der Gesetze aus der Milosevic Ära stattfindet. Die Wirtschaftsreform unter Milosevic hob das Arbeitergruppeneigentum auf und zwang die Arbeiter Aktionäre zu werden, mit Anteilen bis maximal 20%. Die von Rücker geleitete KTA ( Kosova Treuhandagentur) behält 80% der Verkaufserlöse ein und findet damit den serbischen Staat und Eigentümer aus der Milosevic Periode ab. Bei diesem Vorgang kommt es öfter zu Reibereien mit Belgrad.
Rücker sagte
„Es gibt ja in postkommunistischen Transformationsgesellschaften eine ganze Reihe von Eigentumsfragen. Diese Fragen haben zwar mit dem Status des Kosovo wirklich nichts zu tun, sind aber hier trotzdem auch vorhanden. Das sind zum Beispiel Fragen der Enteignungen, die in kommunistischer Zeit stattgefunden haben, oder auch davor. Dazu gehört auch die Frage des Kircheneigentums, als typisches Beispiel. Das hat ja mit den Statusverhandlungen nichts zu tun, trotzdem.“
Anmerkung 4
Es gab keine Enteignungen von Industriebetrieben in „kommunistischer Zeit“. Die industriell-technische Basis wurde durch die Arbeit der Menschen in Kosova nach 1945 geschaffen. Worum es Rücker geht, macht er deutlich, wenn er von „Kircheneigentum“ spricht. In der Tat, die serbisch orthodoxe Kirche will wieder Großgrundbesitzer in Kosova werden. Sie fordert ihre Güter zurück. Dies traut sie sich nicht in Serbien einzuklagen, sehr wohl aber in Kosova, um neben den materiellen Eigeninteressen, den serbischen Teilungsplan zu befördern. Herr Rücker deckt dieses Ansinnen.
Dokumentation: Wirtschaftliche Eckdaten Kosovas aus Wikipedia
Aktuelle Probleme
Der Nachkriegsboom konnte die massiven Probleme nicht beseitigen. Dem Kosovo-Bericht von EU-Experten zufolge gibt es – milde gesagt - grundlegende Strukturschwächen.
2003 wurden Waren im Wert von 985,6 Millionen Euro importiert, der Export (im wesentlichen Pilze, Bauholz und Altmetall) lag lediglich bei 36,3 Millionen Euro - im Ergebnis ein Defizit von rund 950 Millionen Euro. Dieses enorme Außenhandelsdefizit wuchs in der Folge weiter: 2004 lag es bei rund einer Milliarde Euro, 2005 schon bei 1,13 Milliarden Euro.
Abhängigkeit von Kapitalzuflüssen aus dem Ausland
Die Wirtschaft hängt in außerordentlich hohem Maß von Finanzzuflüssen von außen (Hilfsgelder, Überweisungen der Gastarbeiter) ab. Nach Angaben des Finanzministeriums des Kosovo sind die Überweisungen durch Gastarbeiter aus dem Ausland höher als die im Kosovo erwirtschafteten Werte. Da die Hilfsgelder zurückgehen und der Zutritt zum EU-Arbeitsmarkt auch für Kosovaren erschwert wird birgt diese ohnehin ungesunde Struktur erhebliche Risiken. Ausländische Direktinvestitionen werden – angesichts ungewisser politischer Zukunft und problematischer Gesetzgebung bei der Privatisierung – in absehbarer Zeit verschwindend gering bleiben.
Die Unternehmen im Kosovo gehören nach einem Gesetz aus der jugoslawischen Zeit zu 20 Prozent den Beschäftigten als Aktionären; die übrigen 80 Prozent der Aktien gehören dem Staat. Diese 80 Prozent werden zur Zeit von der Treuhandagentur AKM verwaltet. Ihre Privatisierungen sind mitunter umstritten. So wurde im März 2006 ein 1980 errichtetes Nickelwerk gegen den heftigen Protest der Belegschaft an ein kasachisches Unternehmen verkauft.
Schwäche der heimischen Wirtschaft
Der industrielle Sektor ist, dem neuesten Bericht der Weltbank zum Kosovo zufolge, sehr schwach. Die privaten Unternehmen im Kosovo sind sehr klein, haben wenig Kapital und konzentrieren sich in den Branchen Bau und Handel.
Die Elektrizitäts-Versorgung ist mangelhaft und unregelmäßig, dies ist eines der wesentlichen Entwicklungshemmnisse. Mit Stand Februar 2006 teilten die Elektrizitätswerke des Kosovo KEK das Land in drei Kategorien ein: Regionen der Kategorie A, in denen die Zahlungsmoral der Stromempfänger hoch ist, sollen 24 Stunden am Tag Strom erhalten. Regionen mit mittelmäßiger Zahlungsmoral (Kategorie B) erhalten fünf Stunden Strom, dann gibt es eine Stunde Pause. In Regionen der Kategorie C (miserable Zahlungsmoral) wird die Stromversorgung nicht garantiert, es wird aber angestrebt die Versorgung aufrecht zu erhalten im Rhythmus zwei Stunden angeschaltet, vier Stunden abgeschaltet. Im sehr kalten Januar war es zu empfindlichen Engpässen gekommen - die Nachfrage lag in der Spitze bei 1300 Megawatt, bei bei einer Eigenproduktion von 580 Megawatt. Es gelang nicht, die Lücke durch Importe zu schließen. Daher wurde zeitweise Kategorie A im Rhythmus 4:2 (vier Stunden an-, zwei Stunden abgeschaltet) Kategorie B im Rhythmus 3:3 und Kategorie C im Rhythmus 2:4 versorgt.
Es droht vor allem ein Anwachsen der Arbeitslosigkeit unter Jugendlichen mit all den sich daraus ergebenden sozialen Verwerfungen. Derzeit gibt es – bei einer Million arbeitsfähiger Bevölkerung - gerade mal 325.000 Arbeitsplätze (einschließlich offiziell nicht registrierter Schattenwirtschaft). Jährlich kommen aber 36.000 junge Leute neu auf den Arbeitsmarkt.
In der Vergangenheit wurde die Kombination zwischen chronischer Unterbeschäftigung und sehr schnellem Bevölkerungswachstum durch Arbeitsemigration vor allem in die Schweiz und nach Deutschland gelöst. Da diese Möglichkeit so nicht mehr gegeben ist, ist mit weiterem Anwachsen der Armut zu rechnen.
Die Armut ist ohnehin weit verbreitet. Betroffen davon sind vor allem Alte, Behinderte, Bewohner kleiner oder abgelegener Städte und Gemeinden sowie die Angehörigen der nicht-serbischen Minderheiten wie Roma oder slawische Moslems (Bosniaken). Die Armut des Kosovo wirkt sich auch auf andere Bereiche aus: Der Sektor Erziehung ist unterfinanziert, an den Schulen wird in drei bis vier Schichten unterrichtet. Die Gesundheitsdaten gehören zu den schlechtesten in Südosteuropa.
Ökonomische Zukunftschancen sehen die Experten der Weltbank vor allem in den Bereichen Energie und Bergbau. An Bodenschätzen sind Braunkohle, Blei, Zink, Nickel, Kupfer oder Magnesit vorhanden. Auch die Landwirtschaft gilt bei der Weltbank als möglicher Wachstumssektor.
Die EU-Experten empfehlen eine Strukturreform der Landwirtschaft mit deutlichen Produktivitätssteigerungen und den Aufbau einer heimischen Industrie zunächst in den Branchen Lebensmittel, Kleidung, Möbel und einfacher Maschinenbau.
Als Haupthindernisse gelten schlechte Infrastruktur, Mangel an einschlägig ausgebildeten Fachkräften, unsichere politische Gesamtlage, mangelhafte oder fehlende Wirtschaftsreformen durch die lokale Selbstverwaltung.
Währung: Offizielle Währung ist der Euro; in serbischen Enklaven kann auch mit serbischen Dinar bezahlt werden. Manche Geschäfte nehmen auch Dollars an.
Bruttoinlandsprodukt: 930 Euro pro Kopf (2003, Angaben der UNMIK), 964 Euro pro Kopf (2004, Angaben der Weltbank).
Wirtschaftswachstum: 2.2 % (2002), 3.1 % (2003), 3.2 % (2004), 3.5 % (2005 Schätzung)
Inflation: 3.6 % (2002), 1.1 % (2003), 1.5 % (2004), -0.5 % (2005 Schätzung)
Arbeitslosigkeit: 57.1 % (2001), 55 % (2002), 49.7 % (2003)
Armut: Nach Angaben der Weltbank leben 37 % der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze (Einkommen unter 1,37 Euro pro Tag und Erwachsener) 15 % unterhalb der Grenze extremer Armut (Einkommen unter 0,93 Euro pro Tag und Erwachsener).